HR – für die Menschen im Unternehmen gemacht oder wird der Mensch im Unternehmen durch HR (-technologien) bestimmt? Wo geht das Ganze hin?

Das war die Frage für das neue Interview. Unter dem Titel „Mensch in HR“ führt Silke Wöhrmann, APT Human Management, für die HR Autorenherz-Gruppe auf Linkedin* das Interview. Sie möchte sehen und erfragen wer hinter den HR Persönlichkeiten in Deutschland steckt, welche Gedanken, welche Gefühle und Haltungen sie antreibt. *

Ihre Interviewpartnerin: Sarah Böning. Sie war Director HR, Head of Talent Acquisition bei MHP – A Porsche Company. Sie ist jetzt #Gründerin von Talent Centric. Es geht um ihren Lebensweg im HR, ihren Ängste und Hoffnungen, um ihre ganz persönliche Einstellung und ihre beeindruckende #Persönlichkeit. Sie gewährt Einblicke in ihre besondere Haltung, zeigt ihre besondere #Recruiting-DNA und verspricht, immer mit den Menschen zu gehen. Ein sehr sympathische Ausblick für 2022 und auch sonst:

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Gut getarnt

Wer passt sich zukünftig wem an? HR dem Menschen oder der Mensch HR? In den letzten Jahren habe ich das Gefühl, dass der Mensch sich immer mehr – auch und insbesondere im Recruiting-Prozess – den Wünschen und Anforderungen des HR anpasst und manchmal übersehen wird.

Erst das Papier, dann die Person„, so lautet nicht selten die Vorgehensweise bei der Gewinnung und Auswahl von Bewerbern. Obwohl doch die Digitalisierung den HR´ lern mehr Zeit schenken sollte, um wirklich den Menschen hinter dem Bewerber kennen zu lernen. Aber irgendwie ist das Gegenteil der Fall. Oder? Wie denken Recruiter heute? Was wünschen sie sich, was wollen Sie verändern?

Silke Wöhrmann führt heute ein dialogisches Interview mit Sarah Böning zu diesen Fragen. Und zum Schluss wartet dann noch eine ganz persönliche Karriereüberraschung.

Sarah Böning ist ein Mensch im HR. Mit einer DNA aus Recruiting-Macher-Händen, Recruiting-Herz und Authentizität.

„Ich bin ein Schwäbisches Kind und beruflich im Recruiting groß geworden. In meinem Studium war es noch nicht so abzusehen. Der Professor im Bereich Personal vermittelte mental wie auch kommunikativ das Gegenteil von „Mensch im Mittelpunkt“.

Rückblickend bin ich trotz fehlendem HR Vorbild im Studium dankbar diesen Weg eingeschlagen zu haben – für heutige Studenten*innen empfehle ich Mut neben studentischen Impulsen die Praxis hautnah zu erleben und sich von solchen Negativ-Erfahrungen nicht demotivieren zu lassen.

Da das Personalwesen im Studium nicht mein Faible war, wählte ich meinen ersten Arbeitgeber im Praktikum Bosch – mit dem Fokus Marketing – meinem 2. Schwerpunkt der Hochschule. Es war allerdings sehr Controlling-lastig und unglaublich weit weg vom Menschen.

Mein nächster Arbeitgeber war Porsche. Tolles Aufgabenspektrum. Es ging los mit den ersten Schritten des Bewerbungsscreenings. Doch: im Recruiting habe ich Freude an Profilen. Sie sind die Landkarte des Menschen. Und: es war alles recht formal organisiert und es war ein starkes Sortieren von Profilen in A, B oder C, anschließend gingen die Bewerbungen in weitere Hände.

Ich wollte den Prozess von A bis Z kennenlernen und den Mensch nicht rein auf dem Papier bewerten, sondern auch persönlich kennenlernen. Also ging ich zu MHP – A Porsche Company, eine Management- und IT Beratung. Und ich stieg mitten in einer Wachstumsphase ein. Wir wuchsen von 300 Mitarbeiter auf heute mehr als 3100.

Nun, als ich kam wollten wir die Dinge selbst in die Hand nehmen. Ursprünglich haben sich viele Headhunter getummelt, aber Schwaben sind ja bekanntlich bestrebt Geld bedacht einzusetzen. Also begannen wir damit das Empfehlungsmarketing zu pushen, das eigene Netzwerk auszubauen, uns an den Universitäten bekannt zu machen und etliche Employer Branding Maßnahmen ins Leben zu rufen. Damals kannte man uns nur bedingt und als kleines Beratungsunternehmen.

Toll war: Ich konnte machen und man hat uns – meiner Kollegin Diana Bruns und heutige enge Freundin – viel Vertrauen geschenkt. An dieser Stelle möchte ich gerne 2 Namen nennen, die mich sehr geprägt haben – zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: Melanie Winnai und Christoph Joos. Bei Melanie hat man immer Rat zu jeglichen Lebenslagen gefunden und Christoph war immer der Visionär & Kreative – und wir dann wiederum die „Macher“.

Fließband-Mensch?

Silke: Manchmal denke ich Recruiting ist so durchgestylt und hat durch die Digitalisierung nichts mehr mit Menschen zu tun. Erst kommt das „Papier“, dann erst die Person. Wenn man auf dem „C“-Stapel landet heißt es doch: Aus die Maus. Du bist nicht dabei. Absage. Tschüss, auf Nimmerwiedersehen. Du interessierst uns nicht. Es gibt im Recruiting aus meiner Wahrnehmung oft nur noch zwei Seiten, keine Mitte: Der totale Hype bis zu Einstellung – oder das Fallenlassen im Sinne von „Nehmen Sie es uns nicht übel, aber wir haben uns für jemand anders entschieden“. Nimmt noch jemand die Gefühle dieser Menschen wahr?

Die Gefühle treffen auf eine enorme Spannbreite im Recruiting. Von: „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ bis hin zu tollen, vielfältigen Konzepten, die Bewerber als Kunden sehen, als Menschen behandeln und auch Einarbeitung, Förderung, Karriere, also die „Wege danach“ sehen.

Der Recruiter muss gut geschult werden einen Blick für Talente zu behalten – nicht nur formal Kriterien der Fachlichkeit zu prüfen, sondern auch den Blick nach links und rechts zu lenken und sehr nachhaltig & langfristig zu prüfen.

Der Recruiter muss gut geschult werden einen Blick für Talente zu behalten – nicht nur formal Kriterien der Fachlichkeit zu prüfen, sondern auch den Blick nach links und rechts zu lenken und sehr nachhaltig & langfristig zu prüfen.

Das führte mich zu der nächsten Frage:

Sarah, was bedeutet Recruiting?

>>Recruiting ist wie ein Orchester. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Kandidaten und Unternehmen. In der Beratung denken wir schon länger so: Talente stehen im Vordergrund, die Stelle wird sich finden. Wir fokussieren nicht auf eine Stelle, auf ein Projekt sondern auf die ganzheitliche Integration eines Menschen in ein Unternehmen.

Wir gehen Symbiosen ein: nicht nur in der Recruiter-Kandidaten-Beziehung, sondern auch innerhalb des Unternehmens, insbesondere mit den Fachbereichen.

Zum Thema Absagen: Das Wort „Absage“ ist heutzutage aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Es suggeriert, dass der Arbeitgeber nach wie vor auf einem höheren Sockel sitzt – tut er aber nicht. Ein Kennenlernen basiert auf Augenhöhe und Beidseitigkeit. Daher finde ich persönlich wertschätzender zu sagen: „Wir haben derzeit keine Positionen, die den Wünschen & Erwartungen gerecht werden würde“, nur als Beispiel.

Konkret haben wir zum Beispiel alle Bewerber Korrespondenzen neu formuliert. Denn: „Man sieht sich immer zweimal„. Jeder Mensch, auch die, die den Job nicht erhalten haben, sind Multiplikatoren, alles schlägt sich nieder in Kununu, Glassdoor & Co. Statt Absagen bauten wir einen „Pool“ – obwohl ich das Wort Pool auch nicht mag. Es drückt so eine Beliebigkeit aus.

Doch es sind Menschen, Individuen und sie sollen merken: Ich bin da drin, ich darf erklären wonach mir ist: Wohnort, Gehalt, Aufstiegschancen. Ein nachhaltiges Netzwerk geht nur, wenn die Menschen gehört werden.

Silke: Ich bin Hochschul-Lecturer für Eignungsdiagnostik. Und da wird gepredigt: Behandelt jeden Bewerber gleich. Gebt keine Hinweise, keine Mimik oder Gestik die beeinflussen könnte. Stellt jedem Bewerber die gleichen Fragen. Alles natürlich um eine möglichst objektive und valide Aussage hinsichtlich der Eignung eines Kandidaten zu erhalten.

Nur: Wo bleibt der Mensch? Der aufgeregt ist und auch mal eine Hilfestellung braucht, einen Hinweis ob er:sie richtig liegt. Wenn ich mich als offenes, menschliches Unternehmen präsentieren will, kann ich meine Kandidaten doch nicht vor eine Mauer von Interviewern setzen und erwarten, dass er.sie uns anschließend toll findet und es kaum erwarten kann bei diesen emotionslosen Haufen anfangen zu können?

Meine nächste Frage geht genau da hin: Wie kann Validität und Menschlichkeit in einem Jobgespräch vereinbart werden? Wie machst Du es, Sarah?

Als Erstes: Ich freue mich auf jeden Kandidaten. Und gleich am Anfang sage ich: „Heute wollen wir zusammen erkennen, ob es einen gemeinsamen Weg geben wird und wenn ja, wie dieser aussehen kann“. Ich setze das „Wir“ an den Anfang und nicht das „Ich prüfe jetzt mal, und stelle die fiesen Fragen…“

Mich interessiert die Frage: Wo steht der Kandidat gerade? Wo will der Mensch hin? Ich spule keine Fragen ab, sondern gehe viel über das Aktive Zuhören. Ich möchte das Gefühl geben: Der Recruiter ist bei mir im Dialog und nicht bei den schriftlichen Unterlagen.

Womit ich meine Gespräche auch immer gerne beginne: „Papier ist geduldig, heute ist mir wichtig sie als Menschen kennenzulernen – darauf freue ich mich nun mit Ihnen…

Silke: Was ich persönlich wirklich unmenschlich im Recruiting finde sind die alten Glaubenssätze bezüglich Über- und Unterqualifizierung. Akademiker, die einen Job suchen der Ihnen Freude bereitet, der aber keinen akademischen Abschluss voraus setzt, werden sofort als „überqualifiziert“ abgetan. Auf der anderen Seite betont HR wie wichtig intrinsisch motivierte Mitarbeiter:innen sind.

Wenn ich bei HR´lern nachfrage, bekomme ich oft die (Standard-)Antwort: >>ER:Sie ist dann doch gleich wieder weg. Warum? Wenn ein Professor jetzt Blumen verkaufen will weil er schon immer genau diese Leidenschaft hat- warum soll er „weg“ gehen? Immer noch wird das Bewerben auf eine „niedrigere Stelle“ als „Statusverlust“ oder „Notnagel“ angesehen.

Umgekehrt: Die „Unterqualifizierung„. Jemand kann leider noch nicht mit SAP umgehen. Oder kennt sich noch nicht mit der und der Sprache aus. Im Lebenslauf steht nicht das bewusste Keyword, das wir uns alle für die Stelleninhaber:in wünschen. Dabei (ich komme noch aus der guten alten Human Resources Bewegung) ist doch jeder Mensch lernwillig und lernfähig. Wir dürfen es ihm: ihr nur nicht abgewöhnen…

Liebe Sarah, wie siehst Du denn das mit diesem Thema der Über- und Unterqualifizierung?

>> Oftmals sucht man sprichwörtlich die „eierlegenden Wollmichsau“ und wenn man ehrlich ist, ist nahezu jede Einstellung unter qualifiziert, weil die Erwartungen sich auch nicht realistisch decken lassen – und das ist gut so.

Vieles kann man erlernen – sei es durch Weiterbildung, Training-on-the-job, oder durch eine gute Team-Aufstellung auch kompensieren. Ich wünsche mir auch mehr Chancen für Quereinsteiger – das bietet noch so unglaublich viel Potential für die Talente wie auch die Unternehmen. Eine Kür ist es, diese zu erkennen und individuell den gemeinsamen Weg auszuloten.

Akademiker:innen, die sich auf nicht-akademische Positionen bewerben, gebe ich den Tipp, dieses Bewusstsein in das Bewerbungsanschreiben mit aufzunehmen und hier direkt erklärende Worte mitzugeben: Das kann ernorm helfen.

Liebe Sarah, Du hast jetzt einen riesen Sprung gewagt: den in die Selbständigkeit. Ich habe ihn vor gut 15 Jahren gewagt, ihn bereut, ihn geliebt. Ausschlaggebend für mich war damals die Unfähigkeit der Betriebe, kindererziehenden intelligenten Frauen einen Job zu bieten, der es ihnen ermöglicht eine anspruchsvolle Führungstätigkeit auszuüben und dennoch Kinder glücklich zu machen. Ist das bei Dir auch der Grund?

Und: Was macht Dich in Deiner Selbständigkeit außergewöhnlich, was unterscheidet Dich vom Wettbewerb? Wovor hast Du Angst, worauf freust Du Dich besonders?

Auf dem Weg der Entscheidung habe ich mir viele spannende Marktbegleiter sehr genau angeschaut. Viele wechseln, um sich karrieretechnisch weiter nach oben zu entwickeln und aus ihrem Netzwerk einen Vorteil zu gewinnen.

Was ich will, ist ein umfassendes Netzwerk aufzubauen und authentisch als Person Sarah dahinterzustehen. Wenn man sich 15 Jahre für eine Company zu 110% begeistert hat, kann ich das Gleiche in grün nicht authentisch einfach für ein anderes Logo machen…das wäre fast wie, nach einer Scheidung direkt wieder zu heiraten ; -)

Ich habe Lust, die Unterschiedlichkeit der Branchen, der Menschen und der Persönlichkeiten zu spüren. Und, natürlich, ich träume von einer besseren Vereinbarkeit. Allerdings setze ich meine Erwartungsmesslatte nicht so hoch, es heißt ja oft „Selbst und ständig“. Allerdings: Im Angestelltenverhältnis war ich auch irgendwie „selbst und ständig“, daher wird der Wechsel ggf. gar nicht so groß?

Angst: Die ganze Administration, der IT-Stuff. Es ist nicht wirklich Angst, aber Respekt vor den Dingen, die einem in einem großen Unternehmen ja abgenommen werden. Aber ich bin immer „Hands-on“. Dinge, die ich lernen will und muss, lerne ich auch oder weiß, wen ich fragen kann.

Ich freue mich auf die Akquise und die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen & Menschen. Ich werde praxisnah beraten und möchte Teams enablen – mit Optimierungsansätzen für ihren Recruitingprozess, für eine wertschätzende Interviewführung und für ein gutes RecruitingToolkit, um das Wachstum nachhaltig zu meistern. Mit den Kunden hands-on ins Machen kommen und Mehrwert schaffen…

>>Liebe Sarah, wenn wir uns weiterentwickeln müssen wir uns selbst reflektieren. Ich liebe für diesen Anlass das ESKR-Modell. E steht für Eliminieren, S für Steigern, K für Kreieren, R für Reduzieren.

Für das Recruiting würde ich aus meiner Sicht sagen: E: Wartezeiten und Zusagen die nicht eingehalten werden. | S: den Menschen und seine Fähigkeiten in den Focus setzen | K: kurze valide Prozesse | R: Administration.

Wenn Du jetzt die jeweils einen Wunsch hättest für das Recruiting von heute diese vier zu benennen : Wofür würdest Du Dich entscheiden?

Lacht) Elimieren: Die Welt der (Arbeits-)Zeugnisse.

Steigern: Die Individualität sichtbar machen

Kreieren: Einen wunderschönen Blumenstrauß an Recruiting Tools und daraus einen unwiderstehlichen Channel-Mix kreieren.

Reduzieren: nicht-wertschöpfende Aufgaben und privat: Arbeitsstunden.

Herzlichen Dank liebe Sarah. Ich wünsche Dir alles, alles Gute für Deine Pläne und ich bin sicher: Du wirst Deine Ziele erreichen!

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