Sie lassen niemals zu, dass Du Karriere machst. Sie denken nur an sich. Wie man mit Ihnen umgeht.
Sie betreten den Raum und alles an Ihnen strahlt aus: Ich bin besser als Du! Der raumgreifende Gang. Das Lautsein. Das joviale „Auf-die Schulter-klopfen“: Na, mein Lieber, wie geht´s uns denn heute? Alles fit im Schritt ? HAHAHA!!!“
Die gesamte Körperhaltung, der Blick, alles strahlt an ihnen ein “Von-sich-überzeugt-sein” aus, das einen irgendwie erschauern – oder auch fremdschämen lässt. Zweifel an den Worten dieser Menschen kommen gar nicht auf, denn sie füllen den Raum, dulden keinen Widerspruch.
Ein weiteres Kennzeichen: Übertriebenheit in allem was sie tun und sagen (Wissen Sie, neulich, als keiner mehr weiter wusste, da kam ich und dann, plötzlich…!) Das Höchste, das Beste, das Teuerste: Je übertriebener desto wichtiger ist die Person, die darüber berichtet.
Um welche Spezies handelt es sich hier?
Es sind Ü´s. Sie fühlen sich allem und jedem überlegen. Sie denken, sie seien reicher, schöner oder besser in jeder Situation. Könnte einem egal sein, wenn sie nicht so einen massiven Einfluss auf uns und unser Umfeld hätten.
Ü´s und ihr Einfluss auf Deine Karriere
Denn wehe, sie dringen in Dein (Berufs-)umfeld ein. In dem Moment gilt nicht mehr, was Du erarbeitet hast, was Du sagst, schreibst oder denkst. Alles, was Du leistest gehört Ihnen. Denn sie fühlen sich Dir überlegen.
In Meetings: Für jedes noch so greifendes Argument haben sie eine Technik entwickelt, die nichts anderes als ihre Meinung gelten lässt.
Bei Kritik oder Verbesserungsvorschlägen: Da gibt es schnell harsche Worte, die jedes Fünkchen Bedenken gnadenlos abschmettern „Wenn Sie nicht der Meinung sind, sollten Sie sich mal ganz schnell hintenanstellen, da stehen schon andere, die sich nicht informiert haben.“ Auch, wenn eine Relation zwischen zarter Kritik und den dann folgenden Zurechtweisungen in keinem Verhältnis steht.
Bei Fragen nach Gehaltserhöhungen: Du bekommst gar keinen Termin, er/sie ist viel zu beschäftigt als sich mit DIR zu beschäftigen, vergiss´es!
Die Regeln und Vermehrungsstrategien der Ü´s
Bloß niemals ein Looser sein. Bloß niemals zurückstecken. Bloß niemals zugeben, dass man etwas nicht weiß oder nicht kann. Bloß niemals jemanden den Vortritt lassen.
Es ist genau diese Technik, die vermeidet, dass etwas, insbesondere die Überlegenheit dieser Person/en – in Frage gestellt wird. Denn was bleibt, wenn Widerworte nicht sofort abgewürgt werden, wenn der „Kritiker“ nicht sofort als dumm dargestellt wird, wenn der „Gegner“ nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird? Wahrscheinlich nicht viel.
Ü´s verbreiten sich rasend schnell. Die, die sich unterlegen fühlen (eine logische Konsequenz, wenn man mit Ü´s zu tun hat) schauen sich dieses Verhalten ab weil Sie denken: Mit Nettigkeit kommt man hier nicht weiter. Am Anfang fällt es noch schwer. Anstatt zu sagen: „Ja, Sie könnten mit Ihrer Strategie Recht haben“ und dann als Looser dazustehen muss man einfach nur sagen: „Wissen Sie, haben Sie zu Hause niemanden der Ihnen mal sagt was für einen Blödsinn Sie reden?“
Wie werde ich zum Ü?
Zum Ü zu werden ist nicht schwer, daher gibt es wohl auch so viele:
Regel 1: Keine Hemmungen haben andere zu verletzen. Wenn Herrn M. mal deutlich vor der ganzen Truppe der Marsch geblasen wird, weil ein Kunde abgesprungen ist, ist es gut, man will ja keine Zeichen setzen. Jedes Verhalten, sei es noch so unsozial, wird begründet mit einem „Ich meine es doch nur gut mit Euch“. Der Ü-Effekt: die Anderen, die eine vernünftige Lösung suchen, stehen da wie Trottel. Und das ist auch so gewollt. Trottel ziehen sich zurück.
Regel 2: Immer gleich aus vollem Kanonenrohr schießen und unter die Gürtellinie zielen, niemals Zweifel an den eigenen Worten oder Taten aufkommen lassen, Kritiker töten, Bewunderern Zucker geben.
Regel 3: Nur das gelten lassen, was man selbst will und denkt. Andere sofort zum Schweigen bringen. Dann wieder Regel Nr. 1.
Regel 4: Schädigende Effekte in Kauf nehmen wie: Übertreten der Regeln, Überheblichkeit, Übelkeit, Übergriffigkeit, Überreaktion, Überschätzung, über andere reden, sich über andere aufregen. Überbezahlung und Nebeneinnahmen als „habe ich mir verdient“ rechtfertigen.
Regel Nr. 5: Teamklima vergiften, Gerüchte streuen, angreifen und anschließend sofort verziehen, anderen die Schuld geben. Dann sind alle erst einmal beschäftigt und man hat freie Bahn.
Regel Nr. 6: „Wer bremst, verliert“. Von sich selbst überzeugt sein, niemals Selbstreflektion üben. Ohne andere davon zu überzeugen, dass man überlegen ist, ist die ganze Mühe ja umsonst. Also muss man selbst davon überzeugt sein (oder zumindest so tun).
Das lauteste Küken bekommt die meisten Würmer und die Folgen für Teams und Unternehmen
Dieses Verhalten wird offenbar in vielen Unternehmen trotz schöner Leitlinien („Wir sind ein Team!“) massiv gefördert. Das lauteste Küken bekommt die meisten Würmer. Und das hat wiederum ernstzunehmende Folgen für das soziale Zusammenleben insgesamt, aber insbesondere auch in und für Unternehmen, sie reduziert Effektivität und Effizienz. Sie vergiftet alles, was auch nur den Hauch von Team- und Zusammenarbeit ahnen lässt. Und ist damit ein Thema für Unternehmen und Personalabteilungen gleichermaßen und fängt bei der Personalauswahl an. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Einzelpersonen oder um Gruppen handelt oder um ganze Unternehmen, die sich dieser Ü-Illusion verschieben haben.
Denn: Eine Familie bestehend aus Überlegenen kann es nicht geben. Ein Team von Überheblichen wird niemals produktiv. Ein Staat aus Überschätzten wird genauso versagen wie ein Unternehmen bestehend aus Übersättigten.
Was tun, wenn man mit Ü´s zu tun hat und im Leben noch plant weiterzukommen?
- Prüfe, ob Du in einem Ü-Unternehmen arbeitest (oder arbeiten willst)
Ü-Unternehmen fördern Ü-Menschen. Wenn Du hier arbeitest und nicht so tickst, wirst Du hoffnungslos verloren sein. Niemals wird ein Ü Deine Karriere fördern, wird Deine Vorschläge akzeptieren, es sei denn, er/sie kann selbst Profit daraus schlagen oder Dein Konzept als sein eigenes verkaufen. Glaube nicht, dass Du sie ändern kannst. Ü´s fühlen nicht mehr, sie haben sich bereits verkauft.
2. Arbeitest Du mit Ü´s sieh´zu, dass Du wegkommst.
Es hat keinen Sinn, Ü´s werden niemals wieder zu Kollegen. Sie sind ihr eigener, bester Kollege. Wenn Sie Dich bisher in Ruhe gelassen haben, dann nur, weil Du ihnen gehorchst, sie bewunderst, sie förderst oder Du keine Gefahr für sie darstellst. Aber, auch wenn sie noch so nett sind – Du brauchst nicht darauf zu hoffen, dass Du irgendwann mehr Geld oder einen besseren Job bekommst solange sie da sind. Es sei denn, natürlich, Sie bekommen etwas dafür und handeln einen „Deal“ mit Dir aus. Dann bist Du Ihnen ein Leben lang verpflichtet. Viel Spaß!
3. Umweltvergiftung im Ü-Land
Du wirst niemals erfahren, was glücklich sein im Job bedeutet. Man stelle sich vor: lauter glückliche Menschen in einer Firma! Auf gar keinen Fall. Neid, Missgunst, Angriff sind die Motoren der Produktivität. Das soziale Gefühl des Unerheblich-Seins, des Sowieso-nichts-ausrichten-könnens der Nicht-Ü´s“ ist gewollt. „Die da oben sagen ja eh´wo´s langgeht“, „Was kann ich schon tun?“.
Kann man Ü´s austricksen
Kann man Ü´s austricksen? Eher nicht. Sie sind so abgebrüht – wenn man selbst noch etwas merkt kommt man nicht dagegen an. Das einzige was geht ist, Ü´s auszuschließen und den inneren Zusammenhalt zu stärken. Das gibt Krieg, denn Ü´s sind zwar nicht intelligent, aber wenn Menschen etwas gegen sie vorhaben riechen sie es hundert Meilen gegen den Wind.
Was tröstet
Ü´s überleben maximal 10 Jahre. Dann ist die „Karriere“ vorbei. Denn es ist anstrengend jedem ständig überlegen sein zu müssen. Das ganze Leben, alle Gedanken, alle Taten sind nur darauf ausgerichtet. Angst vor dem Abstieg macht sich breit und puscht zu noch mehr destruktiven Handlungen. Irgendwann geraten diese Handlungen in kriminelle Gewässer. Korruption, Mobbing, sexueller Missbrauch – und dann ist Schluss. Oder irgendwann kommt er, der Bluthochdruck, der Herzkasper. Und die Welt wird schnell vergessen. Morgen fragt keiner mehr nach dem großen Meisterkoch, nach dem berühmten Wirtschaftsboss, nach dem Youtube-Star, nach dem charismatischen Politiker, nach dem übermächtigen Unternehmen. Denn es gab diese Menschen und Unternehmen gar nicht, sie wurden nur dazu von anderen Ü´s auserkoren.
Eine letzte Chance: Überlegtheit
Überlegtheit im Sinne: Erst denken, dann handeln – fordert unsere Intelligenz, unser soziales Zusammenleben. Wir müssen sachlich die Situationen bewerten, Risiken abwägen und auf Grundlage unseres Wissens Entscheidungen treffen – und zwar gemeinsam mit anderen, die eventuell andere Meinungen, ein anderes Wissen, andere Kulturen, ein anders Geschlecht, eine andere Herkunft haben. Wir müssen Toleranz entwickeln und unsere schön gezüchteten und gepflegten Vorurteile an die Wand hängen. Das wiederum fordert die Fähigkeit des Lernens und des Willens, über dieses Lernen auch das Überleben anderer Menschen zu sichern, die heute und in Zukunft unsere Welt bevölkern – unabhängig davon, ob wir uns davon persönlich Vorteile versprechen. Lernen heißt auch: Aufnahme von Informationen, die wir in Wissen für eine Gemeinschaft, in ein Team, in ein Netzwerk umwandeln.
Davon heute zusprechen erscheint mir fast utopisch angesichts der zunehmenden Zahl der Überlegenen. Aber vielleicht ist es gerade deshalb so notwendig – auch für Unternehmen – darüber zu sprechen, Kompetenzen des Zusammenlebens zu fördern und alte Denkweisen abzulegen. Neue Organisationsstrukturen müssen die Ü´s killen und ihnen nicht mehr die Gelegenheit geben andere zu übertönen. Teams erhalten Bonuszahlungen, keine Individuen. Prozesse werden auf Teamarbeit ausgelegt – ein Greuel für Ü´s. Kurz: Alle Prozesse und Instrumente, die Überlegenheit unterstützen und Zusammenarbeit untergraben müssen zugunsten einer produktiven Zusammenarbeit geändert werden. Unsere Wirtschaft und alle, die mit ihr verbunden sind, brauchen das. Dringend.
INFOS
Die Überlegenheitsillusion wird auch Lake Wobegon-Effekt genannt und zählt zu den Selbstwert-dienlichen Verzerrungen im Rahmen der Selbstwirksamkeitserwartung…“ .
Ähnlich doch nicht gleich verhält es sich mit dem Dunning-Kruger-Effekt. David Dunning und Justin Kruger von der Cornell University machten ein Experiment: Die schlechtesten Studenten einer Gruppe sahen am wenigsten ein, dass sie etwas falsch gemacht haben. Diese systematische Selbstüberschätzung ließ sich auch nicht dadurch korrigieren, dass man dieser Gruppe die Testbögen zeigte, auf denen ihre Fehler dokumentiert waren.
Aus neurowissenschaftlicher Sicht spielt angeblich der Neurotransmitter Dopamin im Hirnbereich des Striatums[1] eine entscheidende Rolle und insbesondere im Zusammenspiel mit dem vorderen Stirnlappen, der u.a. situationsgerechte Handlungen ermöglicht. Das Striatum ist für die komplexe Verschaltung einer gezielten Bewegung zuständig. Im seinem vorderen Bereich liegt zudem eine wichtige Struktur des Belohnungssystems.
Die Höhe der Konzentration des Dopamins in beiden Gehirnarealen scheint für die Überlegenheitsillusion verantwortlich zu sein. Man könnte vermuten: Je höher das Dopamin in diese Bereiche anregt. desto belohnender wird das Überlegenheitsgefühl empfunden – und jede Situation, die diese Belohnung verspricht wird durch diesen Effekt nicht nur genutzt, sondern auch gesucht, ungeachtet der Folgen. Wir tun halt viel für unser Belohnungssystem, auch wenn es, realistisch betrachtet, völliger Blödsinn ist.
Silke Wöhrmann, Dipl.-Kfm., (54) ist Personalentwicklerin und Hochschuldozentin im Bereich Personalpsychologie und –management. Sie leitet Change-Projekte im Personalmanagement und arbeitet u.a. als Autorin und Coach. Als Gründerin und Geschäftsinhaberin der APT Human Management setzt sie sich zum Ziel, neue Konzepte, Strategien und Ideen im Human Resources Management zu entwickeln und zu etablieren. Kontakt: info[et]apt-woehrmann.de – http://www.apt-human-management.de.
[1] https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/das-striatum
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