>>Rund 1000 HR Professionals sprachen in einer Studie 2019 für tausend andere. 83% haben Probleme geeignete Kandidaten zu rekrutieren. Es fehlen grundlegende Hard – und Soft Skills. (vgl. Infografik, SHRM).<<
Doch das war 2019, gefühlte 1000 Jahre her. Eine andere Zeit. Denn endlich, endlich ist das nervige Thema Rekrutierung passé. Massen von Arbeitnehmern machen sich derzeitig auf den Weg um (vermeintlich) sicherere Arbeitsplätze zu ergattern und verlassen das sinkende Schiff. Die Bewerberrate steigt jetzt bei manchen Firmen wie durch ein Wunder von 0,1% ins Unendliche. Endlich können wir Personalmarketing und das Ringen um Talente mal sein lassen, war ja auch nervig, immer so zu tun, als würden wir uns bewerben und nicht die Kandidaten!
Viele Unternehmen, die in Personalmarketing investiert haben, nutzen die Gelegenheit und kürzen jetzt ganz schnell Aktivitäten und Budgets. Und nicht nur im Personalmarketing: Auch Personalentwicklung, Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung wird (wieder mal) eingefroren, weil es (wieder mal) als „Goodie“ angesehen wird und wir uns (wieder mal) in schlechten Zeiten diesen „Luxus“ nicht leisten können! Begründet wird das mit „Jobmessen finden sowieso erst mal nicht statt“ oder „Seminare können ja gar nicht durchgeführt werden“. Wie einfach ist das denn? Als gäbe es keine anderen Formate.
Der unglaubliche Umgang mit Werkstudenten, Praktikanten, Talenten.
Aber noch gravierender ist das, was derzeitig mit Werkstudenten, Praktikanten, auch Auszubildenden – die Talentauswahl der Zukunft – geschieht. Ohne Wenn und Aber werden sie als erstes entlassen oder „stillgelegt“. Manchmal erhalten Sie noch nicht einmal eine offizielle Nachricht, sondern werden einfach nicht mehr kontaktiert. In kürzester Zeit geht all das, was erarbeitet wurde – über Hochschulmessen, Talent Recruiting Days usw. – den Bach runter.
Ein Witz, der keiner ist.
Erst wird investiert in wohlklingende Personalmarketing-Slogans. Ausgezeichnete Filme wie „Die stille Revolution“ sprechen über die Sehnsucht der Führungskräfte nach Menschlichkeit. Marcel Rütten zum Beispiel, Personalmarketing-Innovator des Jahres 2017, schreibt sich die Finger wund und redet sich den Mund fusselig um die positiven Erfahrungen mit professionellen Praktikantenprogrammen weiter zu geben (HR4good; Personalmarketing in 3D usw.)
Und was passiert jetzt? Genau das Gleiche wie in den 90ern:
Ausbildungsstellen werden gestrichen, gekürzt oder gar nicht erst geschaffen, Praktikanten nicht mehr eingestellt und die, die da sind, dürfen von heute auf morgen gehen. Zum Glück braucht man sich da nicht um Rechtsstreitigkeiten sorgen, weil die Verträge ohnehin keinen Schutz bieten. (Das dies dazu geführt hat, dass wir jetzt keine Talente mehr finden und Millionen dafür investieren müssen wird nicht mehr diskutiert).Lernen wir denn nichts dazu?
Alles wird mit einem Schulter zucken und traurigem Blick dadurch gerechtfertigt, dass man ja die feste Belegschaft schützen muss und dieser Schutz nun mal vorgeht. Wie steht man denn da, wenn ein Angestellter gekündigt werden muss und der schnieke Abteilungsleiter seine Werkstudenten behalten darf?
Rückblick: Laaangsam, ganz laaangsam hat HR sich gewandelt. Im Denken, im Handeln. Weg von „Wir sind die, die das Sagen haben und ihr seid die, die sich anpassen müssen“. Hin zu neuen Ideen in der Rekrutierung. Worte wie Candidate Experience, Candidate Journey kamen auf und zeigten: Wir müssen uns tatsächlich um die kümmern, die bei uns arbeiten sollen. Neue Berufsbilder wie Recruiter oder Talent Sourcer wurden geschaffen und massenweise besetzt mit jungen, ambitionierten HR´ lern. Unzählige Dienstleistungen zur verbesserten Mitarbeitersuche und –akquise wurden entwickelt, digitalisierten und überfrachteten den Markt, getrieben und bezahlt von der Angst des „War for Talents“ und dem Geist der allseits bekannten demographischen Entwicklung (den übrigens auch ein Virus nicht aufhält).
Mühsam rekrutierte vielversprechende Talente wurden erst „gehyped“ – jetzt fallen gelassen
Innerhalb von Monaten ist das jetzt alles futsch. Mühsam rekrutierte vielversprechende Talente wurden erst „gehyped“, jetzt fallen gelassen.
Liebe Unternehmen, wisst ihr, was ihr da tut? Diesen Imgageverlust werdet ihr nicht wieder gut machen können. Erst impliziert ihr der Generation X,Y,Z wie unglaublich toll es ist, in eurer Firma zu arbeiten. Und dann kommt (wieder) mal eine Krise und es gibt kein anderes Mittel als Auszubildende, Studenten, Praktikanten und andere, die euch glaubten, ins Nirwana zu schicken. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, dass durch Corona in Bedrängnis geratenen Unternehmen Personal abbauen müssen. Es geht darum, wie sie es tun.
Was nicht mehr zu retten ist: Die tiefe Enttäuschung, wie die Firma mit ihr umgegangen ist
Kein Schwein interessiert es, ob die 22-jährige Einser-Studentin mit Auslandserfahrung jetzt dasitzt – ohne Wissen darüber, wie es weitergehen soll. Ob sie das Studium finanzieren kann, ihre Wohnung. Aber das wird sie lösen. Was nicht mehr zu lösen ist:
Die tiefe Enttäuschung, wie die Firma mit ihr umgegangen ist. Erst scharwenzeln alle um sie herum, stellen ihr eine traumhafte Karriere in Aussicht. Und dann, nur vier Wochen später, erfährt sie, dass sie nicht mehr in der Einsatzplanung verzeichnet ist. Noch nicht einmal von der Firma selbst, sondern über Kollegen. Diese Erfahrung junger Menschen, noch vor dem Berufseinstieg, macht mehr kaputt als mal eine Führungskraft, die mal einen Tag lang nicht über „Soft Skills“ verfügt. Mehr als ein abgesagtes Seminar und mehr als ein blöder Tag, an dem die Kunden sich nur beschweren.
Es macht den Glauben an eine Firma kaputt und an das, was sie sagt. Das Vertrauen ist weg. Die (von den Firmen ach so geschätzte und gewünschte) Loyalität. Und beides, Vertrauen und Loyalität, kann man nun mal nicht einfach mal an- und ausknipsen wie es gerade passt.
Vertrauensverlust: Mitarbeiter werden ihre Produktivität genauso kalkulieren wie die Firma ihre Zuwendung
Vertrauensverlust ist nicht einfach wieder zu richten und einzufordern wie man es mal gerade so braucht. Vertrauensverluste zeigen sich in distanzierten Mitarbeitern, die genauso ihre Produktivität kalkulieren wie die Firma ihre Zuwendung.
Dass dann die Skills wie „Problemlösungsorientierung“ angeblich fehlen, keine Innovationen benannt und eingebracht werden ist doch klar, oder? Dass Loyalität sehr zurückhaltend dosiert wird ist doch klar, oder? Warum sollten Ideen geäußert werden, wenn der Tenor „Was interessiert mich das Gelaber von gestern?“ als Leitbild viel besser passen würde als die Stories, die in den Hochglanzbroschüren stehen?
Diese Story jedenfalls hört hier noch lange nicht auf. Die Studenten und Praktikanten von heute werden die Talente einer anderen Firma sein. Aber sie werden das, was passiert ist, nicht vergessen. Sie werden ihren Kindern davon erzählen. „Gehe bloß nicht zu… . Weißt Du, was mir damals da passiert ist?“.
Silke Wöhrmann, Dipl.-Kfm., (55) ist HR-Managerin und Hochschuldozentin im Bereich Wirtschaftspersonalpsychologie und Personalmanagement. In leitenden Positionen arbeitet sie u.a. im Schwerpunkt Personalmarketing und –entwicklung, Digitales Lernen sowie als Autorin und Coach. Als Gründerin und Geschäftsinhaberin der APT Human Management und als Partner des Competence Centers digitale Personallösungen entwickelt und etabliert sie neue Konzepte, Strategien und Ideen im Human Resources Management sowie im Hochschulbereich. Kontakt: info[et]apt-woehrmann.de – www.apt-human-management.de.
Anm.: Das Titelbild dient ausschließlich zur Veranschaulichung der derzeitigen Situation von Werkstudenten, Praktikanten und anderen Talenten in Corona-Zeiten und bezeichnet, bewertet oder benennt keine speziellen Unternehmen.Dies melden