Das Buch beginnt mit dem Zitat von Theodore Roosevelt: „Es kommt nicht auf den Kritiker an. Nicht der Mann ist wichtig der analysiert. Wie der Starke strauchelt, oder der dem Tatkräftigen nachweist, wie er noch besser hätte handeln können…“(Anm.: es sei angesichts des Jahres 1910 zumindest nachvollziehbar, dass Frauen vernachlässigt wurden)…
Da bekommt man natürlich schon ein schlechtes Gefühl, wenn man auch mal auch etwas Kritik üben möchte, man ist gleich in der Ecke des Nörglers, der selbst nix auf die Reihe bringt. Allerdings: wenn wir von Führung sprechen, ist Kritik doch eine wichtige Sache, oder? „Der Mann der Tat“ – dieses Bild vom durchsetzungsstarken, immer mit dem Schwert kämpfenden starken Mann der nie schläft und alleine die Welt erobert ist doch jetzt auch mal endlich passé, oder?
Ich hatte mir vorgestellt dass ich ein Buch erhalte, dass schön die Persönlichkeiten der GOT Figuren analysiert und daraus Rückschlüsse auf – eventuelle neue oder alte – Skills und Traits zieht, die Führungskräfte brauchen um in der Zukunft gut aufgestellt zu sein. Oder etwas wie einen systematischen Aufbau wie Rolf Wunderer in seinem Buch „Führung und Zusammenarbeit in Märchen und Arbeitswelten“
Es geht aber weniger um Persönlichkeit, sondern mehr um das, was die Figuren tun: Vertrauen aufbauen, Visionen haben, Werte leben (Ein Lennister zahlt immer seine Schulden!).
MHW (Mark Hübner-Weinhold) baut Ableitungen aus Figuren der Bücher bzw. der Verfilumg von Game of Thrones und tatsächlicher Führung auf, analysiert Strategien und Verhaltensweisen. Zum Verstehen des Buches wäre es sicherlich hilfreich, GOT gesehen oder gelesen zu haben.
Interessant ist die Darstellung der Reaktionsphasen bei Veränderungen (Schock, Verneinung/Ablehnung, Zorn…Resignation & Depression, Akzeptanz, Neubeginn“ ), sie zeigt auffällige Parallelen zu der typischen Motivationskurve. Eine genauere Betrachtung der Verhaltensweisen der Figuren Tyrion Lennister, Jon Schnee & Co im Umgang mit Veränderungen beschreibt MHW in den „Heldenreisen“ und leitet daraus letztendlich Handlungsempfehlungen, u.a. auch für unsere VUCA-Welt, ab: Die gewohnte Welt verlassen, den Ruf des Abenteuers folgen, auf Widerstände stoßen, Mentoren an die Seite ziehen, Bewährungsproben bestehen – mit dem Aufruf: Bitte ab heute mal die Komfortzone verlassen.
GOT und die reale Welt der Führung
Nun ist Führung ein Abenteuer für sich, zugegeben. Aber das Bild des tapferen Kriegers relativiert sich ziemlich schnell, wenn man in die Büros schaut. Denn ein kleiner Unterschied ist, dass Frauen in Führungspositionen wie Daenerys selten auf Männer treffen, die aussehen und charakterlich stark sind wie Jon Schnee.
Der entscheidende Unterschied aber ist die Freiheit und Alltagsabwesenheit, die ihnen zugesprochene Unabhängigkeit, das Fehlen von Fremdbestimmung, die die Figuren vom Autor bekommen, um ihr Leben zu gestalten. Keiner von Ihnen muss Kinder zum Kindergarten bringen. Keiner von Ihnen muss staubwischen, Unkraut jäten oder Emails checken. Wäre ja auch langweilig, ein Ned Stark, der Arya zur Schule fährt.
Ein gedankliches Interview mit MHW
Jetzt würde MHW sagen: Klar, Frau Wöhrmann, aber darum geht es hier doch nicht. Werte leben geht auch heute, Visionen entwickeln auch.
Und ich würde sagen: Stimmt, absolut. Ich bin da ganz dabei. Nur: Was macht die GOT-Figuren in ihren Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten aus, dass sie diese Aufgaben alle – wenn auch mit kleinen Schwierigkeiten – meistern?
MHW´s Antwort (ist nur ausgedacht, ich weiß es natürlich nicht) Frau Wöhrmann, es geht doch hier um Strategien, Erfolgsmuster und Fehlentscheidungen bzw. über den Umgang dieser Entscheidungen und nicht in erster Linie um Persönlichkeitsmuster oder Skills, die diese Figuren mit sich bringen.
Ich: OK, verstanden. Dennoch: Genau das hätte mich in erster Linie interessiert.
Eventuelle Antwort: Das erklärt sich doch von selbst. Fähigkeiten sind gefragt wie: Aus der eigenen Komfortzone herauskommen, Innovationen entwickeln, Mut & Wagnis, zu seinen Entscheidungen und Werten stehen, Widerstände suchen und aus ihnen lernen, Netzwerke aufbauen, mit Niederlagen umgehen usw.
Ich: Klar. Diese Fähigkeiten besitzen wir alle, sonst wären wir nicht mehr die Spezies, die sich die Welt erobert. Die Frage ist aber: Wie? Wie kommen wir raus aus „Ja, aber“ hin zu „Ich mache es!“. Wie bekommen wir Nein-Sager, Ja-Aber-Sager, Zweifler zu Innovatoren? Wie schaffe ich es, sie zum Umzug zu bewegen wenn der Rest der Belegschaft und der eigene Chef sofort zurück pfeift wenn man einen Schritt nach vorne wagt? Ich kann meinen Chef, der mich daran hindert Innovationen zu leben oder der sich weigert meine Werte mitzugehen doch nicht einfach einen Pfeil ins Herz jagen, während er gerade auf Toilette sitzt.
Und das führt zu dem nächsten Gedanken: Alle Führungsfiguren bei GOT waren Einzelgänger. Sie bildeten zwar Teams, Kooperationen, Mentorenschaften, sie schafften sich Freunde und Feinde, aber sie mussten nicht wirklich Rücksicht auf andere nehmen oder sich einpassen. Probleme wurden ja auch gerne mal damit gelöst, dass der Drache kurz mal Feuer auf diejenigen spie, die mal nicht der gleichen Meinung waren wie wir selbst. Sicherlich, auch heute laufen jede Menge Drachen herum bzw. werden eingesetzt, aber mich interessiert ob es nicht auch anders geht und ob GOT da helfen kann?
Lernen wir aus GOT welche Metakompetenzen wirklich wichtig sind?
Um es kurz zu fassen: Um VUCA, Social Enterprise, Soulful Organizations, Heartful Leadership, also die neuen Wege in eine komplexe Welt mitzugehen auch zu bestehen braucht es aus meiner Sicht eine Metakompetenz: Systemisches Denken und Handeln in Kombination mit dem Trait Intelligenz.
Während GOT sagt: Handle nach deinen Prinzipien und Zielen und verteidige dein System bis zum Tod (der dann auch eintritt)! sagt Systemisches Denken und Handeln: Lebe lange. Verstehe das System – handle mit dem System um Neues entstehen zu lassen – beachte die Reaktionen anderer – lerne mit ihnen, bringe mit ihnen zusammen das System weiter. Lege Wert auf Entwicklungen und nicht auf Zustände („States“) und bringe sie fachübergreifend und Wechselwirkungen bedenkend weiter. Es gilt nicht die Frage: Was habe ich davon? Sondern: Was müssen wir gemeinsam tun, um zusammen nach vorne zu kommen? Diese Verantwortungsübernahme, diesen Weitblick und diese Intelligenz kann man eigentlich nur Tyrion zuschreiben. Oder Jürgen Klopp. Oder jedem, der nicht nur eine Mannschaft, sondern eine Familie gründet, bildet, zusammenhält.
Wenn man zusätzlich das Buch „Türme und Plätze: Netzwerke, Hierarchien und der Kampf um die globale Macht“ (2018) von Niall Ferguson in die gedachte Diskussion mit einbezieht kann man ergänzend und zusammenfassend sagen: GOT beschäftigt sich in erster Linie mit den Türmen. Systemisches Denken und Handeln mit den Plätzen und Türmen. Vielleicht ist deshalb auch Arya mein ganz besonderer Favorit. Sie setzt ihre Macht nicht ein, sondern im Gegenteil: Sie überlebt weil sie permanent unterschätzt wird und dies zu Ihrer Stärke macht. Sie lebt Bescheidenheit, fast Unsichtbarkeit, sie geht „undercover“. Sie besucht mit enormen New-Leadership Skills (u.a. die Fähigkeit sich in Menschen hinein zu versetzen) auf die Plätze und nicht aufs Schlachtfeld.
Das ist aus meiner Sicht die neue „Helden (und Führungs?-)Figur. Denn Führung, so wie wir sie kennen, wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben. Führung geht über in Netzwerke, ist temporär, projektbezogen, teilweise noch nicht einmal mehr personenbezogen. Der Held mit dem Schwert in der einen, dem Kreuz in der anderen Hand ist „out“.
Das Buch Leadership by Game of Thrones: Mark Hübner-Weinhold, Manfred Klapproth, Verlag Franz Vahlen München, 2019