In 10 Jahren wird es keine ganzheitliche Personalentwicklung mehr geben. Obwohl es allen klar ist, dass ohne gezielte Qualifikation und ganzheitliche Mitarbeiterförderung die Effizienzraten sinken, Fehlzeiten steigen, Innovationen ausbleiben, Fachkräfte fehlen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der PE.

Haben Sie es schon einmal gehört? „Noch nie gab es so viele schnelllebige Trends, neue Entwicklungen, noch nie zuvor wurden Führungskräfte so gefordert agil zu sein, sich ungewissen Situationen zu stellen, noch nie zuvor ist qualifiziertes Personal so gesucht wie heute…“

Und dennoch: die Personalentwicklung erstarrt. Man verwaltet sich selbst, Prozesse bleiben lieber ineffizient, Hauptsache, man hat überhaupt einen Prozess. Die beständigen Aufrufe zu neuen Denkweisen[1] scheinen hauptsächlich einen Effekt  zu haben: Unternehmensleitungen und Personalentwickler vermeiden Innovationen aus Angst, etwas falsch zu machen.

Beispiele

  • Eine Bäckerei mit einer Fluktuationsrate von über 33% und einer Fehlzeitenquote von 15,3 %  kann die Stellen nicht mehr fachgerecht besetzen. Die Auswahlverfahren haben eine Validität von r=0.26 (> 0.7 wäre gut). Leitungsstellen blieben unbesetzt. Die allzu nötige Neuorientierung im Personalmarketing und im Recruiting bleibt aus – es könnte zu viel Unruhe geben. Statt dessen werden lieber Bewerber eingestellt, die ziemlich sicher schnell wieder das Unternehmen verlassen – die Menschen brauchen Brot, kaufen Brot, egal, das wird schon.
  • Ein großer ambulanter Pflegedienst kann die Sicherstellung der Pflege durch Personalknappheit nicht mehr gewährleisten. Das noch verbleibende Personal übernimmt die zusätzlichen Aufgaben, bis die Fehlzeitenquote durch mangelnde eigene Gesundheit auf 14% steigt.  Das dringend erforderliche Personalmarketingkonzept? Fehlanzeige. Kostet zu viel.
  • Ein Handelsunternehmen möchte seine Mitarbeiter entwickeln und organisiert Führungskräftetrainings, die sehr erfolgreich laufen. Eine neue, selbstbewusste Führungskultur etabliert sich. Die Führungskräfte fangen an, selbst unternehmerisch zu denken. Sie werden so selbstbewusst, dass das Unternehmen beschließt, die Trainings einzustellen.

Lieber das Alte beibehalten als Neuem vertrauen?

Zum Thema Lernen: Es gibt es zahlreiche neue didaktische und methodische Lernmodelle, die den Lernerfolg (Rotation, Enlargement, TAG/Teilautonome Arbeitsgruppen, Anlernverfahren nach der analytischen Arbeitsunterweisung, Leittextmethode u.v.a.m.)[2] – und dennoch heißt es allzu oft: „Sieh´ zu, wie Du klar kommst, ich wurde auch ins kalte Wasser geworfen.“

In der Führung gibt es Konzepte, die den Führungskräften wirklich helfen, ihre Situation zu erkennen, zu klären und zu meistern (Charismatic-valued oriented Leadership, Transformational Leadership, Global Leadership, Balanced Leadership…) im vollen Bewusstsein darüber, dass Führung ein komplexes Thema ist und  unterschiedlichste Einflüsse (Kunden, Mitarbeiter, Persönlichkeit, Unternehmensziele) sich gegenseitig beeinflussen – zu welchen Themen greifen Personalentwickler beim Training? „Mitarbeiterkommunikation leicht gemacht“. Man kennt den Trainer ja seit Jahren und weiß, was man an ihm hat und auch, was nicht.

In der Eignungsdiagnostik gibt es Entwicklungen, die eine deutlich verbesserte Zuverlässigkeit in der Personalauswahl nachweisen[3] – und trotzdem werden Auswahlgespräche zu 59% aus dem Bauch heraus geführt. [4]

Warum?

Aus diesen und zahlreichen anderen Praxisbeispielen lässt sich eine enorme und gefährliche Unsicherheit herauslesen – Unsicherheit und Angst bei den Entscheidungsträgern, Verantwortlichen und auch Betroffenen.

Unternehmen sind auf kurzfristige Erfolge fixiert

Schnelle Erfolge, und die bitte morgen – eine Haltung, die der Markt fordert aber den Tod einer effektiven Personalentwicklung bedeutet. Denn das ist ihr Pech: die Wirkung hinsichtlich Motivation, Qualifikation und Effizienzsteigerung braucht teilweise Jahre. Demgegenüber stehen die Wünsche der Unternehmensleitung und auch der Personaler, die Führungskräfte bitte zu qualifizieren, aber nur maximal einen Tag, dann müssen sie schnell wieder zurück zu ihrem Arbeitsplatz.

Entscheiden oder Angst vor Verlust?

Die Prospect Theorie von Kahnemann beschreibt die Angst vor Verlusten: Eine 50:50-Chance – 10.000 Euro zu gewinnen oder zu verlieren, ist den meisten zu riskant. Der Horror vor einem Verlust wiegt viel mehr als die Freude über einen Gewinn derselben Summe. “Bedrohungen sind wichtiger als Chancen“ sagt Kahneman.[5] Und Veränderungen werden als Bedrohung empfunden. Wenn es der PE nicht gelingt, Bedrohungen als Chance zu verkaufen und konsequent Betroffene und Verantwortliche zu integrieren und die positiven Effekte spüren zu lassen, wird sie aus dem alten Fahrwasser nicht mehr herauskommen. Sie muss sich selbst hinterfragen: Brauchen wir überhaupt ein Beurteilungssystem, Zielvereinbarungen? Und nicht etwas weiter führen, was sich eventuell schon selbst überholt hat, weil es nur noch widerstrebend und halbherzig angewendet wird.

Personalentwicklung produziert Kosten

Ausbildung und Traineeprogramme, Assessment Center und Qualifizierung – das alles kostet Geld[6]. Und ist damit nicht gerade das beste Argument, um PE bei der Unternehmensleitung beliebt zu machen. Klar – bei einer Investition in eine Maschine kann ich berechnen, wie viel Output am Ende dabei herauskommt, wann der Break-Even erreicht ist. Zwar gibt es ausführliche wissenschaftliche Untersuchungen und jede Menge positiver Beispiele über die Effektivität – Gary Becker, Gewinner des Nobelpreises in Ökonomie hat es u.a. beschrieben – aber wer hat die Zeit, sich das alles durchzulesen?[7]

Personalentwickler haben keine Machtposition

Finanzen, Controlling, Vertrieb – ihre Verantwortlichen finden sich auch im Vorstand oder in der Geschäftsführung. Personalentwickler sind allerdings nicht zu sehen. Festgefahren in ihrer Rolle als Dienstleister „Business Partner“ – für Führungskräfte, Mitarbeiter, die Vorstandsebene, haben sie keine oder nur geringe Machtbefugnisse, die langfristige Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen. Dabei sind sie verantwortlich für das „Human Capital“ – in glorifizierten Leitbildern als DER wesentliche Faktor für den Unternehmenserfolg benannt.

Was ist zu tun?

Klar sein in dem, was PE macht und bedeutet

Personalentwicklung zu betreiben erfordert ein umfassendes Maß an Kompetenzen: Personalmanagement, juristische Kenntnisse, Arbeits- und Organisationspsychologie, Pädagogik und Didaktik, Psychologie, Betriebswirtschaft, Controlling, Bildungsmanagement, Eignungsdiagnostik, Social Skills im Umgang mit Menschen…ein Spezialgebiet also. Vielleicht hat es die Personalentwicklung verpasst, sich selbst einmal darzustellen und zu sagen, was sie überhaupt macht und wofür sie gut ist. Helfen kann eine klare Marketingstrategie, die auf Transparenz und Kommunikation ausgerichtet ist, anstatt sich in den eigenen Themen zu vergraben.[8]

Profile klären

Das bedeutet auch in Folge: Unter dem Stellenangebots-Titel „HR Development Manager (m/w)“ verstecken sich unterschiedlichste Vorstellungen. Der eine sucht eigentlich doch nur einen Personaladministrator. Der Andere einen Trainer. Der Nächste einen sozialpädagogischen Assistenten, einen Recruiter, einen E-Learning-Programmierer. Die Stellengesuche klingen aber alle gleich. Vermutung: manchmal wissen Unternehmen erst, wen sie mit welchem Profil suchen, wenn sie die Bewerbungen erhalten. Und nicht umgekehrt.

Personalentwickler an die Macht

Im Vorstand findet man bestenfalls PE-affine Personalleiter oder Geschäftsführer (vgl. oben). Das Image des netten, sozial-orientierten PE´lers, der Mitarbeiter mit ein paar Seminaren versorgt, ist nach wie vor präsent. Weg von der Nice-to have-Mentalität, die sich ein Unternehmen nur leistet, wenn es nicht weiß wohin mit der Kohle wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Trennung von Personalmanagement und Personalentwicklung

In klassischen Organisationen ist die Personalentwicklung in die Personalabteilung integriert. Eine wichtige Maßnahme wäre die Trennung beider Fachbereiche und Gleichstellung der Funktionen Personalleiter und Leiter Personalentwicklung. So können innovative Konzepte unabhängig vom administrativen Bereich reifen und über eine kreative, schöpferische Umgebung tatsächlich das tun, was ihre Aufgabe ist: entwickeln. (Ja, es wird Konflikte geben und auch Machtkämpfe. Und genau hier sollten Personalentwickler sich etwas mehr zutrauen und nicht nur in die Fußstapfen anderer treten).

Klares Bekenntnis erforderlich

Ein klares „Ja“ zur Personalentwicklung mit allen Konsequenzen: dies ist der Job der Geschäftsführung. Man kann nicht „halb“ fördern, nur „mal eben“ einstellen, nur mal „ein bisschen“ ausbilden. Ein klares Bekenntnis heißt auch: „Ja“ zur Investition in Mitarbeiter, „Ja“ zur Unruhe bei der Einführung neuer Instrumente, „Ja“ zur Bereitschaft, sich mit den Themen auseinander zu setzen und dann auch gerne: „Ja“, wenn die eigene Firma die entscheidenden Wettbewerbsvorteile durch qualifizierte Mitarbeiter erlangt.

Klare Einsicht erforderlich

Unterschiedliche Auswahl-, Beurteilungs-, Qualifizierungskonzepte, die nicht aufeinander abgestimmt sind, wirbeln mehr Staub auf, lassen mehr Fragen aufkommen als dass sie etwas bringen. Das bedeutet für die Personalentwicklung: Die vorhandenen Instrumente regelmäßig auf den Prüfstand stellen. Die DIN 33430 verlangt zum Beispiel Regelungen bei Standard-Auswahlprogrammen alle drei Jahre zu überprüfen, Vorgehensweise und Gütekriterien alle 8 Jahre. Nur: Wie junge Pferde scheuen sich jedoch viele Personaler davor, einmal Eingeführtes wieder zu canceln oder zu verändern. Es hat alles sowieso schon so viel Zeit, so viel Geld, so viel Nerven gekostet, jetzt alles noch einmal? [9]

Klares Konzept, klare Strategie

Nur 22% befragter Betriebe entwickeln eine Personalbedarfsplanung länger als 3 Jahre für die Zukunft, 53% nutzen variable Vergütungssysteme, 47% flexible Arbeitszeitmodelle. Aber warum, wieso? Mit welcher Intention? Anhand welcher Kennzahlen werden Erfolge gemessen? Wo wollen wir überhaupt hin? Was wollen wir erreichen? Wie wollen wir es erreichen? Und mit wem? Fragt man nach, bekommt man eher ausweichende Antworten. Da müssen sich die PE´ler selbst an die Nase fassen: wenn PE verstanden und als Folge befürwortet werden soll, dann muss sie einfach nach dem KISS-Prinzip (“Keep it short and simple”) und diese Fragen fundiert beantworten können.

Fazit: Personalentwicklung in einer (Personal-)Welt voller Ambivalenz

66 Prozent der Arbeitnehmer beklagen eine mangelnde Förderung des Wissens in Sachen Digitalisierung, aber mindestens jeder dritte Arbeitnehmer sagt, in seiner Firma sei es explizit erwünscht Lerninhalte über soziale Medien zu nutzen [10] [11]. Im Leitbild steht „Mitarbeiter sind unser wertvollstes Kapital“, aber Bewerber für zukünftige Führungspositionen erhalten nach einem Bewerbungsgespräch 3 Monate lang keine einzige Rückmeldung. Horrende Summen werden für Marketingaktionen ausgegeben, aber die Seminardauer von 2 Tage auf 1 Tag verkürzt – die Liste könnte unendlich erweitert werden. Personalentwickler müssen sich in einer Welt voller Ambivalenzen zurecht finden und können dieser Situation nur begegnen, indem sie sich klar positionieren, Einfluss ausüben und Funktionen ausfüllen, die es Ihnen ermöglichen, diesen Einfluss auch geltend zu machen.

Ansonsten wird es in 10 Jahren keine ganzheitliche Personalentwicklung mehr geben, sondern in kleine Einzelmaßnahmen zerrissen werden. Sie schafft sich selbst ab, weil sie sich vergräbt und ihr der Rückhalt von der Unternehmensleitung, den Führungskräften und den Mitarbeitern systematisch abhanden kommt.

Herzlichst, Ihre Silke Wöhrmann

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