Employer Branding, also die Entwicklung einer Arbeitgebermarke, beschäftigt Firmen massiv. Es wird versprochen, dass mit der Anwendung des Rezeptes A,B oder C –schwupps! – eine Arbeitgebermarke entsteht. Es gibt Ausbildungen zum „Employer Branding Manager“, vielfältige Awards, Studien ohne Ende, Dienstleister überall. Es ist ja auch nichts dagegen zu sagen – mit diesen Initiativen werden Unternehmen dafür sensibilisiert, sich selbst aus den Augen der Bewerber zu betrachten.Was jedoch gefährlich daran ist: es wird suggeriert, dass jede Firma, egal welcher Größe, ob regional oder international tätig, eine Arbeitgebermarke aufbauen kann und sollte.
Schaut man sich genauer um, sind es jedoch in erster Linie Firmen, die ohnehin eine starke Produktmarke haben (Porsche, Airbus, Telekom, McDonalds, Siemens, Unilever….)[1][2][3][4].
Versetzen wir uns dann in die Situation eines kleinen Altenheims – wie groß sind die Chancen, dagegen an zu „stinken“? Man muss es ehrlich betrachten: Der Aufbau einer Marke – sei es im Konsumer- oder Personalbereich – kostet Geld.. Und das haben (stellen) kleine und mittelständische Betriebe (hierfür) nicht zur Verfügung. Das Denken ist noch sehr produktionsorientiert: die Investition in eine Maschine oder ein Beatmungsgerät erhält einen deutlich höheren Stellenwert, denn hier ist der Break-Even einigermaßen berechenbar. Menschen sind es nicht. Also entsteht die Frage:
Muss man ein Employer Branding aufbauen?
Ist es unbedingt notwendig, eine Arbeitgebermarke zu haben? Was bieten Marken überhaupt?
Marken stellen, kurz gesprochen, Orientierungshilfen für eine Kaufentscheidung dar. Marken versprechen dem Verbraucher (oder hier: dem Bewerber) Qualität, Langlebigkeit. Markenkäufe sind auch häufig teurer – und das wird im Personalmarketing verschwiegen. „Teurer“ bedeutet im Personalkarussell auch: der Bewerber muss richtig ´ranrauschen, denn er arbeitet ja bei einer „Marke“. Und: der Bewerber bekommt auch häufig weniger Gehalt, denn er arbeitet bei einer „Marke“. Allein der Stolz sagen zu können „Ich arbeite bei…“ rechtfertigt m.E. auch personalpolitische Entscheidungen wie unbezahlte Praktika, Promotionsstellen, geringere Gehälter u.a. So bekommt man das in die Kampagnen investierte Geld auch wieder ´rein.
Vor lauter Arbeitgebermarken den Wald nicht mehr sehen
Übertragen auf den Konsumentenmarkt lässt sich feststellen: Auch Firmen, die keine Marke haben, leben gut. Weil sie andere Konzepte „fahren“. Sie verzichten bewusst darauf, im Markentanz mitzumachen. Denn wohin hat er letztendlich geführt? Zu einem unübersichtlichen Markt an „Marken“ der genau das Gegenteil von Orientierung für den Verbraucher bewirkt: Verwirrung. Der Begriff „Marke“ ist schwammig geworden und zu einem reinen Verkaufsargument mutiert. Genau diese Gefahr besteht auch im Arbeitgebermarkt. Wenn jeder versucht zu einer „Arbeitgebermarke“ zu werden, wird der zukünftige Bewerber diesen im Dschungel der „tollen Arbeitsklimata“ und „fantastischer Teamarbeit“ gar nicht mehr wahrnehmen. Dafür bieten diese Firmen ohne Marke ganz andere Vorteile. Für den Arbeitgeber könnte das heißen: Wir sind zwar keine Marke, aber wir bezahlen besser. Oder wir bieten transparente Entwicklungschancen. Oder wir haben familienfreundliche Arbeitszeiten.[5] Es muss nicht der Firmen-PKW für Azubis sein. Konzepte [6] [7]sind gefragt, die an den individuellen Lebenslauf eines Mitarbeiters anknüpfen und keine öffentlichkeitswirksamen übermotivierten oder übersteuerten Maßnahmen.
Sich hervorheben – ja, aber positiv
Es ist aus meiner Sicht nicht Voraussetzung eine Marke zu kreieren, um geeignete Bewerber zu bekommen. Es geht auch anders, deutlich günstiger. Was allerdings bleibt: Wenn man sich wünscht, das die Bewerber kommen, muss man etwas tun. Zum Beispiel richtiges Personalmarketing betreiben. Personalmarketing ist nicht nur „Werbung“. Hinter Personalmarketing steckt ein ganzheitliches, strategisch orientiertes Konzept – Employer Branding ist nur ein Teilgebiet (auch, wenn es teilweise anders dargestellt wird), denn es betrachtet nur das Umfeld „Image und Wahrnehmung zum Zwecke des Kaufs“, aber nicht den Kauf (oder die Zusage zu einer Arbeitstelle) an sich. Es gibt also Einiges mehr zu bedenken: die ganzheitliche Integration des Personalmarketings in das Personalmanagement[8] und das gezielte Ausrichten geeigneter Instrumente sowie die Hebung der Bedeutung des Personalmarketings in der Unternehmenshierarchie.
Back to the roots: Worum geht es eigentlich?
Um doch einmal zum Kern zurück zu kehren: Im Vordergrund steht die Gewinnung und Bindung von geeignetem Personal, Punkt. Die beste Marke hilft nichts, wenn sich in der Praxis das teuer bezahlte Image nicht wieder spiegelt. Ausgangspunkt ist also die Frage: Welche Zielgruppe wollen wir ansprechen, wie denkt diese Zielgruppe und wie können wir dieses Denken so beeinflussen, dass sie bei uns arbeiten möchten?
Und da haben wir schon das Problem der Zielgruppe.
Zielgruppendefinition: größter Fehler des Personalmarketings
Jeder, der einmal etwas von Marketing gehört hat, stellt als erstes die Frage: An welche Zielgruppe wollen wir uns wenden? Uns wird eingetrichtert, dass dann, und nur dann, das geeignete Instrumentarium gewählt werden kann, um diese Zielgruppe zu gewinnen.
Beim Personalmarketing ist das anders, und das ist vielleicht der größte Differenzierungsfaktor zum Konsumentenmarketing.
Nehmen wir einmal an: Eine Firma möchte technische Auszubildende gewinnen. Zielgruppe wären dann doch zum Beispiel: Schüler und Schülerinnen, in Region X +/- 20 km, Alter 16-18, Abitur, Mathematik mindestens Note 2. Oder?
Vergessen wird: Diese Schüler haben Mütter, Väter, Freunde, Verwandte, Geschwister. Wir wissen: sie orientieren sich sehr stark an deren Ratschlägen und oft auch an beruflichen Karrieren innerhalb der Familie. Die Mutter ist aber 38, hat kein Abitur und in Mathe eine 4. Der Freund ist gerade 15 geworden. Der Vater arbeitet in einer anderen Region und kommt nur am Wochenende nach Hause. Wie schön wäre es doch, wenn Mutter sagen würde: “Hast Du schon einmal an Firma XY gedacht? Die sollen sich richtig gut um ihre Auszubildenden kümmern!”. Tut sie aber nicht. Weil sie ja nicht zur Zielgruppe gehört und gar nichts von ihnen weiß.
Oder: Eine Firma möchte IT´ler gewinnen. Profil: Alter: 25-45, guter Studienabschluss in Informatik, international erfahren und aufgestellt. Toll, also ´ran an den Speck und schöne Anzeigen schalten. Schade, es meldet sich keiner, also beauftragen wir eine Agentur, die dann Xing nach geeigneten Kandidaten durchflöht.
Dabei gibt es viele sehr motivierte selbständig tätige IT´ ler[9]. Menschen, die nicht studiert haben, aber SCRUM und Mobile Applications, PHP, Python, Shell Scripting, JavaScript aus dem „FF“ beherrschen. Kurz: Zielgruppendefinitionen können deutlich nach hinten losgehen. Ganz ohne geht es aber auch nicht. Also müssen die Zielgruppen deutlich weiter gefasst werden als es der Konsumentenmarkt es vormacht.
Das Problem der Candidate Experience
Ein weiteres Thema, welches uns eingeflüstert wird: Wir müssten uns mit der „Candidate Experience“ [10] [11] beschäftigen. Was wollen junge Menschen? Was erwarten sie vom Arbeitgeber? Studien über Studien sollen uns eine Antwort auf diese Fragen geben. [12] Diese Studien sind wertvoll. Zum ersten Mal seit Langem schaffen sie es, dem HR-Leiter einen Eindruck davon zu geben, dass auch Bewerber Wünsche haben. Das Problem ist nur: Viele potentielle Kandidaten im Bewerbungsmarathon wissen noch gar nicht, was sie wollen, schon gar nicht, was sie werden wollen. Woher auch? Bei >18.000 Studiengängen[13] in Deutschland ist das durchaus verständlich. Relativ übersichtlich ist da noch die Anzahl der als anerkannt geltenden Ausbildungsberufe: 328.[14] Und das quält unsere potentiellen Mitarbeiter in erster Linie: die Frage, was soll ich werden, wo will ich hin, bringt es mir Spaß, verdiene ich genug, um so zu leben, wie ich es mir vorstelle? Und wie will ich überhaupt leben? Kann ich in der Nähe meiner Freunde, meiner Familie bleiben oder muss ich in eine andere Stadt und wie bezahle ich es? Erst dann kommt: ist man freundlich zu mir, behandelt man mich respektvoll, bekomme ich eine schnelle Rückantwort?
Mit anderen Worten: Wenn man sich wirklich für diese Zielgruppe interessiert, muss man ihr den Weg durch diese Fragen bahnen, und zwar uneigennützig, beratend, am Menschen und seinen Potenzialen interessiert, nicht wertend, nicht manipulierend. Denn das merkt sie sehr schnell, postet es, und schon ist das gute Image dahin.
Nun, bekommen Sie das mal bei der Geschäftsführung durch: „Wir beraten unsere Zielgruppe, nennen aber auch die Mitbewerber, eben ganz neutral….“. Aber genau das wäre es, was diese jungen Menschen bräuchten. Derzeit ist sie trotz verstärkter Initiativen der schulischen Berufsberatung und Übersichtsportalen komplett überfordert[15]. Die Annahme vieler Personalmarketingmaßnahmen legt zugrunde, dass „ihr“ potentieller Kandidat schon eine Ahnung davon haben wird, welcher Beruf ihn fesselt. Dem ist nicht so.
Fachkräfte wissen, was sie wollen
Bei Fachkräften sollte man meinen, dass sie schon eher wissen, was sie wollen. Natürlich, die Erfahrung aus diversen Bewerbergesprächen hat bei ihnen eine Meinung darüber entstehen lassen, welcher Prozess professionell ist – und welcher nicht. Sie differenzieren genauer, welche Werte die ihren wieder spiegelt und ob sie sich in dem Klima wohl fühlen. Trotzdem: zahlreiche Fachkräfte möchten auch gerne einmal etwas anderes machen. Nur: die Personalpolitik, noch stark an das Schubladendenken (einmal IT´ler, immer IT´ler) macht wechselwilligen Fachkräften das Leben schwer. Die in den Personalerköpfen gemeißelten Auswahlkriterien „überqualifiziert – unterqualifiziert“ sortieren nach Schema F schnell aus. Auch hier entsteht wieder der intensive Link zum Personalmanagement und zur Führungskultur: wenn nicht ein flexibleres Denken außerhalb der Lebenslauf-Norm Einzug hält, werden hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte einfach flöten gehen. Schade drum.
Mitarbeiterbindung – kein Thema?
Last but not least: zum Personalmarketing gehört nicht nur – wie oft fälschlicherweise gedacht – die Gewinnung, sondern ebenso die Personalbindung. Merkt der fröhlich vom Bewerber zum Mitarbeiter beförderte Mensch, dass die ganzen Versprechen doch nicht so sind, wie ursprünglich dargestellt, ist er schnell wieder weg. Dies verdoppelt und verdreifacht die Kosten der Gewinnung – der Kreislauf beginnt von Neuem. Nicht nur das: Die Unruhe der Fluktuation, die Informationsdefizite, Motivations-, Kunden und Wissensverluste sind in Zahlen schwer zu fassen. Um das zu vermeiden gilt es, interne Prozesse und Haltungen neu zu überdenken. Wie stehen wir zu unseren Mitarbeiter? Ist er wirklich “Human Capital” oder Werkzeug zur Gewinnoptimierung? Was unternehmen wir, um die Mitarbeiter zu halten, zu entwickeln, zu fördern? Das fängt bei der morgendlichen Begrüßung an und endet noch lange nicht beim goldenen Kugelschreiber für 25 verdienstvolle Jahre. Dahinter steckt ein durchdachtes und kontinuierlich hinterfragtes und verbessertes Konzept, angelehnt an Bedürfnisse, die zwischen Unternehmen und Mitarbeitern austariert werden müssen.
Fazit
Ich habe bewusst Glaubenssätze aufgegriffen, die mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen sind und diese in Frage gestellt. Ich meine: Man kann auch ohne Arbeitgebermarke glücklich sein. Wenn man bereit ist, über Alternativen nachzudenken. Wenn man etwas bietet, was keiner bietet. Oder wenn man mehr bietet als Andere. Damit meine ich nicht ausschließlich Geld. Ich meine auch Werte wie Wertschätzung, Toleranz, Offenheit, Vertrauen. Wenn man ein Konzept hat, welches auf langfristige Wirkung ausgerichtet ist und nicht, weil es gerade modern ist. Und wenn man bereit ist, umzudenken. Bewerber und Mitarbeiter werden es mit intrinsischer Motivation danken.
[1] http://www.trendenceawards.com/seite/karriere-website.html
[2]https://www.trendence.com/presse/pressemitteilungen/2016/trendence-employer-branding-awards-2016-verliehen.html
[3] http://www.castenow.de/3083-deutschlands-schuler-haben-entschieden
[4] Nagel,K.:Employer Branding- Stakre Arbeitgebermarken jenseits von Marketingphrasen und Werbetechniken, in: Wirtschaftswoche, Linde Verlag Wien 2011
[5] Berufundfamilie, Vereinbarkeit 2020. Eine Studie zu familien- und lebensphasenbewusster Personalpolitik im Zeitalter der Individualisierung, http://vereinbarkeit2020.berufundfamilie.de/wp-content/uploads/2016/01/Ergebnisbericht_Studie_Vereinbarkeit_2020-2.pd
[6] Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Grünbuch, Arbeiten 4.0, file:///C:/Users/k/Desktop/personalpsychologie/2017/17.03.17/gruenbuch-arbeiten-vier-null.pdf
[7] Blazek, Z., Flüter-Hoffmann, C., Kössler, S., Ottmann, J.:Personalkompass, Demografiemanagement mit Lebenszyklusorientierung,file:///C:/Users/k/Desktop/personalpsychologie/2017/17.03.17/PersonalKompass%20(2).pdf
[8] Lippold, D.: Die Personalmarketing-Gleichung, De Gruyter, Oldenbourg, 2014
[9] Wöhrmann,S.: Sind Selbständige die besseren Angestellten? in:personal-thurm.de http://personal-thurm.de/recruiting-sind-selbstaendige-die-besseren-angestellten/
[10] http://arbeitgeber.monster.de/hr/personal-tipps/rekrutierung-verguetung/bewerberauswahl/candidate-experience-bitte-recht-freundlich-109516.aspx
[11] https://www.metahr.de/candidate-experience-studie-2014/
[12] http://www.employerreputation.de/2015/12/17/candidate-experience-1-definitionen/
http://www.esch-brand.com/publikationen/studien/neu-studie-zur-candidate-experience/
[13] http://www.sueddeutsche.de/bildung/hochschulen-jedem-seine-nische-1.2697382
[14]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/156901/umfrage/ausbildungsberufe-in-deutschland/
[15] Warum der Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen so absurd ist http://lippold.bab-consulting.de/warum-der-arbeitsmarkt-fuer-hochschulabsolventen-so-absurd-ist