Der Gedanke hinter den „Geschichten aus dem Coaching“:

In den „Geschichten aus dem Coaching“ geht es darum, Themen aufzugreifen, die aus einem Coaching oder aus vergleichbaren Situationen entstehen. Denn das, was in einem Coaching passiert, liefert oft Hinweise auf Themen von ganzen Zielgruppen oder sogar auf gesellschaftliche Entwicklungen. Zu diesen Geschichten werden kleine, aber effektive Coachingtools ergänzend vorgestellt.

 

„Die Generation Y ist verloren. Sie ist überfordert, gierig und überschätzt sich selbst.“ (Osman, J., 2017, manager magazin)

Diese Aussage ist natürlich bewusst provokativ gewählt, und sie erfüllt für mich ihren Zweck. Gierig ist aus meiner Sicht eher das Umfeld, das viel zu früh Leistungen von Menschen erwartet, die sie gemäß ihres  Alters noch gar nicht erfüllen können. Die Überschätzung ihrer Fähigkeiten liegt weniger in den jungen Menschen, sondern in der Gesellschaft, die sie umgibt.

In meinen Vorlesungen treffe ich genau diese Zielgruppe aus der Generation „X,Y,Z“. Und sie wird aus meiner Sicht völlig falsch beschrieben und eingeschätzt. Eine kleine Geschichte kann eventuell das Denken über diese Generation etwas relativieren. Denn so jung, fröhlich und selbstbewusst diese Generation daher kommt – es täuscht. Sie haben Sorgen, Nöte und Ängste.

Die Schattenseiten der rosigen Zukunft

„Warum?“ fragen sich die Älteren. „Zu meiner Zeit hätte ich mir so einen vielversprechenden Arbeitsplatz gewünscht. Eine Bewerbung – gleich eine Jobzusage  – davon konnten wir nur träumen.“

Diese vermeintlich komfortable Situation hat auch seine Schattenseiten. Denn die neuen Generationen agieren im Vergleich zu den 70ern oder 80er deutlich fremdbestimmt.

Zunächst belohnt die Schule diejenigen, die sich wunderbar angepasst verhalten haben. Dann lässt man sie vor einem unglaublichen Angebot an Studien- und Ausbildungsangebote stehen. Das Elternhaus kann wenig helfen – um sich aktuelle Kenntnisse der neuen Berufs-, Studien-, Ausbildungs- und Karrierewege anzueignen, muss man sich permanent damit beschäftigen. Also erst einmal ab ins Ausland, wenn man es sich leisten kann. Wieder zurück, ist die Lage auch nicht besser. Aber man muss sich entscheiden. Denn jetzt kommt die Wirtschaft, die als nächstes die jungen Generationen durch die Maschinerie der Leistung leitet.

Und die ist mächtig. Ab ins Traineeprogramm, schnell, schnell den nächsten Karriereschritt machen.

Für viele junge Menschen sind die Fragen „Wer bist Du eigentlich, welche Persönlichkeit hast Du? Was passt zu Dir?“ völlig fremd. Der Austritt aus der Masse führt aus ihrer Sicht konsequent zu Missgunst seitens der Wirtschaft und auch des persönlichen Umfeldes. Noch nie gab es aus meiner Sicht eine Generation, die so „angepasst“ wurde und den Träumen der Wirtschaft entspricht.

Das Innere dieser Menschen sieht aber ganz anders aus. Sie haben Angst. „Angst wovor?“ fragt sich der ältere Mensch. „Sie kommen doch häufig aus gesicherten finanziellen Verhältnissen, ihre Zukunft ist rosig“.

Und genau das macht diesen Menschen zu schaffen. Ihre Nöte werden ignoriert, denn es geht ihnen doch gut. Papi und Mami zahlen den Neuseelandaufenthalt, im Abitur steht eine 1 Komma – was kann da schon passieren? Oder: man beneidet sie. Früher war doch alles viel schwieriger, da muss man doch dankbar sein!

Verlustängste – ein wichtiges Thema

Eine der größten Ängste dieser jungen Menschen ist – der Verlust. Der Verlust eines Karriereweges, der von ihnen erwartet wird, obwohl sie erst 19 Jahre alt sind und überhaupt erst einmal im Leben ankommen müssen. Sie quält die Angst, Familie und Freunde zu verlieren, denn die Familie gibt ihnen Halt in dieser komplexen Welt. Unterbewusst schwelt die Angst, dass alles doch nicht so glatt geht, wie man es ihnen prophezeit.

Ein Beispiel. In einer Vorlesung gab es Aussagen der Studierenden wie: „Ich darf nicht glücklich sein. Denn wer glücklich ist, kann sich nicht verbessern“.  „Mein Ziel: Ich muss das, was meine Eltern erreicht haben, toppen.“ „Es wird von mir erwartet, dass ich mehr schaffe als…“.

Permanent wird an ihnen „herumgekriddelt“ (durchaus unter der Maßgabe einer gut meinenden Förderung) „Sei nicht so, sei lieber so“. „Das würde ich an Deiner Stelle eher nicht tun, mache es lieber so..“.

Bisweilen merke ich, dass meine Studierenden ganz erstaunt reagieren, wenn sie eine positive Rückmeldung erhalten – einfach so, ohne Kritik. Sie freuen sich darüber aber nur zum Teil. Sie fragen dann von selbst nach „Ja, schön,  und was war nicht gut an dem, was ich gemacht habe?“.

Manchmal stelle ich mir die Frage: Werden hier Generationen gefördert, die nur noch fremdbestimmt denken und handeln, die so lange ihre Lebensenergie geben, bis sie (vielleicht zu spät) auch ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen?

Cochingtool zur Selbstbestimmung

Um in einem ersten Schritt meine Studierenden von der Fremdkritik zur Selbstreflexion zu motivieren nehme ich als Coaching-Tool diese Aussagen auf und lasse sie von den Studierenden umformulieren. Wie lautet der Glaubenssatz der Fremdbestimmung, wenn ich ihn in einen Glaubenssatz der Selbstbestimmung umformuliere? Und welcher Effekt ergibt sich daraus?

Die Ergebnisse aus einer Moderation:

Fremd-bestimmung

Effekt

Selbst-bestimmung

Effekt

„Ich kann nur unter Druck arbeiten“ Druck, Stress, Angst Ich bin ein Mensch, der die Fähigkeit hat zu planen und zu organisieren. Damit verteile ich den Druck und kann meinen Stresslevel regulieren. Nachdenken, planen, Entlastung
Man sagt mir, dass ich

  • fleißiger
  • schneller
  • nicht so zurückhaltend
  • nicht so…

sein soll.

Orientierung an den Wünschen anderer Ich sage mir, wie ich sein soll und bestimme mein Tempo, meinen Fleiß, meinen Einsatz – und mein Glück. Orientierung an den eigenen Stärken
„Ich bin Multitaskingfähig! (Weil es andere so erwarten und/oder es hip ist) Verschiedene Dinge gleichzeitig tun, aber nicht die wichtigen Dinge tun Ich konzentriere mich auf eine Sache und erledige sie. Dann nehme ich mir die nächste Aufgabe vor. Ich bestimme die Reihenfolge und den Umfang, mit dem ich mich dieser Aufgabe widme. Die wichtigen Dinge werden konzentriert  erledigt. Die Ziele werden erreicht.

 

Verwunderte Reaktionen bei positiver Rückmeldung

Die Reaktion der Studierenden bei dieser Übung: zunächst Verwunderung. Viele von Ihnen haben bisher gar nicht daran gedacht (!), dass eine Selbstbestimmung auch in ihrem Umfeld möglich ist. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass es das erste Mal war, das meine Studierenden diese Möglichkeit überhaupt erwogen.

Bereits in ihrem Alter (19-22 Jahre) fiel es einigen schwer, sich von ihren Glaubenssätzen zu lösen. Der Effekt aber blieb zum Glück nicht aus: Die gesamte Zusammenarbeit veränderte sich in eine von Augenhöhe und Respekt geprägte Atmosphäre. Die Studenten verabschiedeten sich von ihrer Rolle als Karriereanwärter und wurden sie selbst. So wählten sie zum Beispiel für ihre Vorträge an Stelle fachbezogener Präsentationen sehr persönliche Themen und bewiesen den Mut, sich selbst auch vor anderen zu reflektieren. Auch berichteten sie darüber, wie sehr ihre Entscheidungen von den Anforderungen der Umwelt geleitet werden. Oder darüber, dass die Themen, die sie wirklich beschäftigen (zum Beispiel Stress mit Freunden, Liebeskummer) selten ernst genommen werden – sogar von ihnen selbst. „Das geht vorbei, widme Dich lieber den wichtigen Dingen (Studium, Beruf…) sagen sie zu sich selbst.

Mögliche Folgen – ein Ausblick auf 2040

Der Druck, sich permanent an den Wünschen anderer zu orientierten, die wiederum ihre eigenen Ziele mit dieser Generation verfolgen, kann – im schlimmsten Fall und eventuell erst in den nächsten 20 Jahren – eine müde und auch enttäuschte Arbeitsgeneration schaffen. Müde, weil sie sieht, wie wenig sie wirklich an sich denken konnten, ganz entgegen der Vermutung, ihre Generation sei egoistisch geprägt. Enttäuscht, weil die Wirtschaft sie genutzt hat und außer Titel und Geld keine Wertschätzung erfolgt. Müde, weil ihnen das Gefühl versagt wird etwas erreicht zu haben, auf das sie stolz sein können.

Bedeutung von Studierendencoachings

Hochschulen bieten neben den fachbezogenen Vorlesungen zum Beispiel auch (kostenlose) Studierendencoachings an, um Hilfestellung in schwierigen Situationen zu geben. Ein Beispiel dafür ist die HSBA (Hamburg School of Business Administration).

Studierendencoaching kann hier rechtzeitig unterstützen, indem es dazu ermutigt, Dinge zu hinterfragen. Es wird die gesellschaftliche Situation nicht verändern – kann aber dazu beitragen, dass die Individualität stärker wahrgenommen, dass Mut zur Entwicklung belohnt wird. Insbesondere kann es mit seinen Tools zeigen, dass Freude am Leben Leistungsbereitschaft fördert – und nicht umgekehrt.

 

Links

HSBA Studierendencoaching, unter https://www.hsba.de/hsba/campusleben/studierende/beratungsangebot/

Osman, J., 2017, manager magazin http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/generation-y-millennials-sind-ueberfordert-und-ueberschaetzt-a-1166054.html

Welt.de, Iconist: Warum die Generation Y so unglücklich ist,https://www.welt.de/icon/article133276638/Warum-die-Generation-Y-so-ungluecklich-ist.html

Schedelbeck, P. 2017 Offener Brief an die Generation Y, Hört auf uns zu belächeln, https://www.br.de/puls/themen/leben/brief-professor-vs-generation-y-100.html

 

Silke Wöhrmann, Dipl.-Kfm., (52) ist Personalentwicklerin und Hochschuldozentin im Bereich Personalpsychologie und –management. Nach verschiedenen leitenden Positionen im Bereich Personalentwicklung und Personalmarketing  arbeitet sie heute als Coach, Führungskräftetrainerin, Beraterin und Autorin. Als Gründerin und Geschäftsinhaberin der APT Human Management setzt sie sich zum Ziel, über Reflexion und genauem Zuhören neue Konzepte, Strategien und Ideen im Human Resources Management zu entwickeln und zu etablieren. Kontakt: info[et]apt-woehrmann.de.

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